Ikonen der Konsumgesellschaft

Mariel Gottwick im Gespräch Reinhold Urmetzer

Auszug aus dem Interview

anlässlich der Ausstellung der Künstlerin Mariel Gottwick

im Galerieverein der Stadt Leonberg, 2001

© Edition Weissenburg 2001

 

Reinhold Urmetzer: Um was geht es in der Ausstellung im  Galerieverein der Stadt Leonberg?

Mariel Gottwick: Ein großer Teil dieser Ausstellung wird den Pralinaren gewidmet sein. Das sind von mir so genannte kleine Objekte, Abgüsse aus Gips oder Beton. Sie stammen  nicht von der äußeren Schachtel, sondern von den Behältern, in denen die Pralinen stecken. Solche Hüllen sind oft sehr pompös aufgemacht, sie haben eine edle Gestalt und geben den Pralinen einen besonderen Status. Pralinen sind keine einfache Tafel Schokolade. Um das sichtbar werden zu lassen, müssen sie besonders imposant in Erscheinung treten. 

Irgendwann habe ich angefangen, diese Hüllen zu sammeln, weil mich deren Ästhetik angesprochen hat, die barocken Formen und die prachtvolle Aufmachung mit Gold und Silber. Es wurde mir bewußt, daß die Verpackung ein wesentliches Mittel zur Überhöhung des Inhalts ist. Die Praline selbst tritt fast in den Hintergrund  im Vergleich zu ihrer Verpackung. Das war nun für mich der Anlass, die Hüllen in etwas zu verwandeln, das selbständig ist, das die Praline gar nicht mehr braucht.

Ich denke, dass dies das eigentliche Wesen der Werbung ist, dass das Produkt in den Hintergrund tritt, es stellt nicht mehr das Wesentliche dar. Wichtiger wird, daß und wie es an den Mann oder die Frau gebracht wird. Deswegen wollte ich nun aus der H ü l l e das eigentlich Wesentliche machen. Ich nehme  diesen Fall exemplarisch für die Vorgehensweise von Werbung allgemein, ein Beispiel für unzählige andere Produkte, die hinter ihren „Hüllen“ fast verschwinden.

Reinhold Urmetzer: Sprich über die Technik, wie du vorgehst. Du machst Objekte und fotografierst sie. Beide Male entstehen Kunstwerke.

Mariel Gottwick: Die Fotos sind etwas ganz Anderes als die Plastiken. Die meisten Objekte sind Abgüsse der Pralinenhüllen in Gips oder Beton. Anfangs unterschieden sie sich noch sehr wenig von der ursprünglichen Verpackung, wie zum Beispiel die vergoldeten und versilberten Gipsobjekte. Durch unterschiedlichste Oberflächenbearbeitung entfernten sie sich immer mehr von ihrer Vorlage. Sie bewegten sich dadurch nach und nach in einem ganz anderen Zusammenhang.

Dieses Objekt hier zum Beispiel ist fast schwarz, es könnte beinahe ein Maschinenteil sein. Andere wirken wie barocke Architekturstücke oder die Beton-Objekte wie Teile aus dem Baumarkt. Die Irritation des Betrachters wird so noch größer.  Die Erinnerung an die Hüllen der Pralinenschachtel geht nie ganz verloren, aber sie läßt sich nicht mehr mit der Pralinenästhetik in Verbindung bringen. Das war meine vorrangige Absicht, die Hülle von ihrem Zweck zu befreien und zu einem eigenständigen Objekt werden zu lassen.

Reinhold Urmetzer: Du bist in diesem Moment also eine Skulpturistin, stellst Skulpturen oder Plastiken her. Der nächste Schritt ist aber, dass Du diese Objekte auch fotografierst und sie dadurch eine ganz andere Dimension erhalten.

Mariel Gottwick: Diese Fotos haben nun noch einmal einen weiteren Prozess der Verfremdung durchlaufen, eine Verfremdung, welche die Dinge – also die Wirklichkeit selbst – ständig durch die Medien erfahren, die Wirklichkeit wird verdoppelt. Ich setze mit diesen Fotos einfach noch eins „oben drauf“. Die Verpackung wird zum Objekt, das Objekt zum Autoteil, das Autoteil zum sonnenumspielten Etwas aus „Tausend und einer Nacht“. Die Objekte habe in extremem Sonnenlicht fotografiert. Das gibt ihnen einen schimmernden Glanz aber harte Schatten, womit wir mit dieser vielfachen Brechung schon wieder ein bisschen in die Nähe der ursprünglichen Pralinenschachtel gerückt sind.

Reinhold Urmetzer: Mir fällt auf, dass die Objekte ganz besonders klein und fast zierlich im Raum stehen. Es gibt  Künstler, die gerade solche Objekte riesengroß aufblähen, etwa Claes  Oldenburg mit seinen  Hamburgern aus Kunststoff. Ist das nun ein bewußter Kunstgriff von dir, dass du die Objekte so klein lässt, fast noch kleiner erscheinen sie mir als im Original? 

Mariel Gottwick: Sie sind nicht verkleinert und auch nicht vergrößert. Der Abguss erfolgt von der Originalverpackung, und das ist mir auch wichtig, dass diese ursprüngliche Größe erhalten bleibt. Es gibt verschiedene Mittel der Verfremdung, um die Aufmerksamkeit des Publikums in eine bestimmte Richtung zu lenken. Das Kleine soll so viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen, dass es in seiner realen Größe trotzdem eine Wirkung besitzt. Jeff Koons zum Beispiel nimmt oft sehr kleine Objekte und bläht diese riesig auf. Nur durch die Vergrößerung entsteht die gewollte Irritation, eine neue Ebene. 

Diesen Effekt wähle ich nicht für meine Skulpturen. Durch eine andere Art der Verfremdung – etwa durch die Farbgebung oder durch die Bearbeitung der Oberfläche – werden sie zu „anderen Dingen“.  (…)

Reinhold Urmetzer: Warum aber gerade Pralinenschachteln? Weil diese besonders schön sind oder auch einen besonders verführerischen Inhalt haben? Du hast dich in deiner letzten Ausstellung in der städtischen Galerie Ditzingen ja besonders intensiv mit Essen und Ess-Kultur beschäftigt, mit „Ess-thetik“, wie du sagst.

Mariel Gottwick: Ich esse gerne Pralinen (lacht).- Es gibt verschiedene andere Dinge in unserer Waren- und Konsumwelt, die mich ähnlich und aus dem gleichen Grund faszinierten wie die Pralinen. Eine Zeitlang habe ich mich mit Dessous beschäftigt. Unterwäsche soll verkauft werden, aber eigentlich werden hier schöne Körper angeboten, die in edlen Spitzenstoffen verpackt sind. Das Ganze zielt eher auf eine erotische Ebene, aber es geht auch hier um Verpackung, um eine Verpackung, die verkauft werden soll. Die Wertigkeit hat sich verkehrt, der Verkaufsgegenstand wird zur Verpackung. 

Reinhold Urmetzer: Reden wir vom Verkaufen, reden wir also von der Werbung. 

Ich spüre da eine gewisse Ambivalenz bei dir. Einerseits findest du eine Verpackung schön, andererseits erkennst du, dass der Gegenstand, der verpackt wird, gar nicht mehr so wesentlich ist, ja sogar – wie im Falle der Praline – ganz verschwindet und die Aufmachung der Verpackung auch schließlich teurer wird als der Inhalt. Stehst du der Werbung kritisch gegenüber?

Mariel Gottwick:  Schon. Du hast ambivalent gesagt, das trifft es wohl. Die Ästhetik der Werbung zieht mich  sehr an. Andererseits stört mich die Schönheit der Verpackung, weil sie mich ablenkt von dem, was ich eigentlich schön finden könnte. (…)

 

 

Reinhold Urmetzer, geboren 1950 in Saarbrücken, studierte Musik, Germanistik und Philosophie in Saarbrücken, Stuttgart und Tübingen, u.a. Komposition bei Erhard Karkoschka und Philosophie bei Karl Otto Apel. Er ist Musiker, Journalist, Lehrer, Buchautor und vieles andere mehr. Zahlreiche Interviews – etwa mit Jean-François Lyotard, Wolfgang Rihm oder Ivan Nagel – sind in der überregionalen Tagespresse und in Fachzeitschriften erschienen. Die Stuttgarter Edition Weissenburg hat sie als Sammlung  veröffentlicht („Gespräche mit Zeitgenossen“).- 1997 ist dem Künstler in Bonn ein Cicero-Rednerpreis für die „Weiterentwicklung der Redekultur im deutschsprachigen Raum“ verliehen worden.